Als mich während meines ersten Studienaufenthaltes in Fuzhou im Herbst 2005 chinesische Freunde auf das Haus "Deutscher Garten" aufmerksam machten, war ich von der europäischen Anmutung der Architektur überrascht. Im 19. Jahrhundert gab es einen Stadtviertel, in dem die Ausländer lebten und arbeiteten und Straßenzüge mit Geschäftshäusern, Verwaltungsgebäuden, Botschaften, Schulen, Kirchen, Krankenhäusern und Stadtvillen das soziale Gefüge ihrer Bewohner und die Bedeutung für die Stadt bezeugten. Bei einem Besuch vor Ort konnten wir jedoch nur noch einzelne erhaltene Häuser und Reste der Bebauung finden. Die Umwandlung großer Areale der chinesischen Städte in Hochhauskomplexe verursacht einen unschätzbaren Verlust der Kenntnisse in der Baukultur und der Traditionen. Orte, die etwas bezeugen; erfahrbare Geschichte also, werden ausradiert als habe es sie nie gegeben. Die Frage nach der geschichtlichen Identität unserer Gesellschaft wird bald nur noch an Hand ausgewählter Quellen mit Karten, Photos, Büchern und Museumsausstellungen zu beantworten sein. Mein Rollbild "Deutscher Garten" ist der Versuch, mit einer dokumentarischen Arbeitsmethode "Archäologie der Gegenwart" künstlerisch umzusetzen. Die Tuscheabreibung von Kalligraphien in Stein hat in China eine lange Tradition. Heute gilt es, das Bewußtsein für Geschichte selbst in seiner Materialität zum Thema zu machen. Geschichte ist ein lebendiger Prozess des Erinnerns, der durch die Sichtbarmachung von Spuren menschlichen Denkens, Empfindens und Handelns zu unserer Selbstpositionierung in der Welt beiträgt.